Frauen und Männer in Krieg und Frieden - wie entwickelten sich die Rollenzuweisungen in den vergangenen 100 Jahren? - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Public Affairs



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 16.05.2003


Frauen und Männer in Krieg und Frieden - wie entwickelten sich die Rollenzuweisungen in den vergangenen 100 Jahren?
Gerlinde Behrendt

Krieg und Militär erlebten in den letzten Jahren einen Boom in Deutschland - als Forschungsgegenstand. Eine Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung fragte nach der Genderperspektive des Pazifismus




Die Fernsehbilder aus dem Irak-Krieg gaben der Zuschauerin zu denken: an der Front waren weitgehend Männer zu sehen, beschäftigt mit der "sauberen" Kriegführung - Leidensbilder waren weitgehend ausklammert - Frauen und Kinder sah man im Krankenhaus oder beim Schlangestehen nach Lebensmitteln oder Medikamenten. Aber ist das wirklich die Realität im Krieg? Oder sitzen wir einmal mehr der interessegeleiteten Propaganda der Kriegsparteien auf? Sind Frauen nur Geiseln und Opfer und müssen von Männern wahlweise befreit oder beschützt werden? Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen wollen diese Rollenverteilung so nicht mehr akzeptieren. Opfer ist im Krieg immer die Zivilbevölkerung (Kollateralschäden!) - nicht alle Männer sind Soldaten und umgekehrt sind auch Frauen als Soldatinnen an Kriegshandlungen direkt beteiligt. Doch diese schwer auszuräumenden Klischees haben eine lange Tradition.

Frauenforschung und die deutsche Angst, nicht ernst genommen zu werden

Ist "gender" überhaupt eine Kategorie der Friedens- und Konfliktforschung? Im Vergleich zur internationalen Forschung gab es in Deutschland lange Zeit große Bedenken. Galt es doch, die Existenzberechtigung von Friedensforschung erst einmal nachzuweisen, die Angst, durch "Frauenthemen" nicht ernst genommen zu werden, war hierzulande immer stark ausgeprägt. Hanne-Margret Birckenbach vom Schleswig Holstein Institute for Peace Research führte eindrücklich aus, mit welchen Hemmnissen und Selbstblockaden Frauen zu kämpfen hatten. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Unterrepräsentation von Frauen und von genderanalytischen Themen ein Defizit bei der Friedensforschung ist. Es besteht bereits Nachfrage nach speziell dafür ausgebildeten Frauen in internationalen Organisationen. Frau Birckenbach schreibt eine lange Wunschliste für die Forscherinnen: Die Entwicklung von Methoden zur Kombination von Gender Analyse mit der Konfliktanalyse steht an vorderster Stelle.

Thomas Kühne, einer der ersten "Männerforscher", räumte ein, dass die historische Friedensforschung kaum Forschungsergebnisse zum Gender-Aspekt vorzuweisen hat. Er benannte Analyse-Aufgaben: vor allem, den Prozess der Abwertung des Krieges in Deutschland international vergleichend zu untersuchen. Mittlerweile ist hier die normative Orientierung am Frieden so stark ausgeprägt, dass es zu einem dichotomischen Weltbild geführt hat: Frieden ist das Gute, Krieg das Böse. Diese Unterscheidung ist undifferenziert und spätestens dann hinfällig, wenn frauenspezifische Menschenrechtsverletzungen - wie im ehemaligen Jugoslawien - als hinreichender Grund für eine militärische Intervention akzeptiert werden.

Pazifistinnen in der Weimarer Republik: Sachlicher Frieden - emotionaler Krieg

Dass in Deutschland die Geschichte des Pazifismus mit Geschlechtsrollenbildern eng verknüpft war, illustrierte Jennifer Davy von der Technischen Universität Berlin an einem Diskurs zwischen Carl von Ossietzky und Bertha von Suttner. Der "Weltbühnen"-Herausgeber Ossietzky kritisierte 1924 Suttners Roman "Die Waffen nieder!" aus dem Jahre 1913 als "sentimentalitätsgeladen", weil sie angesichts von Kriegsfotos ihre Erschütterung artikulierte. In der traditionellen bürgerlichen Rollenvorstellung dieser Zeit wurde eine frauenspezifische Affinität zum Frieden unterstellt: Mütter wissen menschliches Leben besser zu schätzen, daher brauche man mütterliche Funktionen bei der Erhaltung des Staates - Männer hingegen hatten wehrhaft und kriegsbereit zu sein. Völkisch-national gesinnte Theoretiker - bis nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland unter Männern der "mainstream" - warnten ihre Geschlechtsgenossen daher vor fortschreitender Entmännlichung. Umgekehrt bewirke der Pazifismus bei den Frauen, dass sie sich wie Mannweiber benehmen.
Bertha von Suttner nahm in der Debatte von Anfang an eine klare Stellung ein: es dürfe keine Tabuisierung bei der Schilderung der Auswirkungen des Krieges geben. Nicht Frieden sei unvernünftig, der Krieg ist es. Ossietzkys Diskurs zeigt die Suche nach neuer Männlichkeit in Abgrenzung von weiblicher Emotionalität. Was konnte er den zeitgenössischen Männern zumuten? Vom Standpunkt der Genderdiskussion aus gesehen ist der Beitrag von Ossietzky nur vor dem Hintergrund des damaligen herrschenden Diskurses zu verstehen, der von einem völkisch-nationalen Männerbild geprägt war.

Eierwürfe vor dem Amerikahaus: Aus "lieben Mädchen" wurden Verfassungsfeindinnen

Die Soziologin und Journalistin Ute Kätzel leitete die Diskussion zur 68er Friedens- und Protestbewegung ein.Sie bezeichnete die Massenmedien als ein neues Phänomen bei der Entstehung der studentischen und jugendlichen Protestkultur: In Wochenmagazinen veröffentlichte brutale Bilder aus dem Vietnamkrieg trugen bei zur Entstehung einer Anti-Kriegs-Bewegung, die sich später zu einem militanten Anti-Amerikanismus entwickelte. Man entdeckte die Medienwirksamkeit dieser Demonstrationen, 5 Eier auf das Amerikahaus waren interessanter als alle politischen Erklärungen des Protests.

Aber wie pazifistisch war die "68er-Bewegung" wirklich? Herbert Marcuse hatte die Opposition aller Studenten gegen den Vietnam-Krieg als "moralische Pflicht" erklärt. Tatsache ist auch, dass junge Männer nach Berlin zogen, um nicht Soldat zu werden. Friedlich war aber dieser Protest von Anfang an nicht, es gab hartes Eingreifen der Polizei. Die Elterngeneration hatte nach dem 2. Weltkrieg und spätestens nach dem Bau der Berliner Mauer ein positives Amerikabild entwickelt und war bereit, den Vietnamkrieg zu unterstützen. Eine wichtige Rolle spielten auch Erfahrungen der jungen Generation mit der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit der Eltern. Die Erziehung war autoritär und von der Nazizeit geprägt. Die Väter forderten Respekt von Kindern und Frauen. Als Folge wurden nun alle Autoritäten in Frage gestellt - einschließlich der Legitimität des Staates. Zur Gewalt entwickelte sich eine pragmatische Einstellung. Gewalt gegen Sachen - ja, Gewalt gegen Menschen - nein, aber gegen Polizisten - ja.

Frauen waren in der Protest-Bewegung zwar auch benachteiligt, hatten aber hier mehr Einfluss als in der offiziellen Politik. Sie beteiligten sich - aus Überzeugung und mit viel Engagement - an gewalttätigen Aktionen. Aus "lieben Mädchen" wurden unversehens Verfassungsfeindinnen. Frauen der 68er Bewegung berichten heute, dass Militanz Teil der persönlichen Befreiung war. Identifikationsfiguren des Protests waren jedoch immer Männer. Dutschke erklärte öffentlich: die Frauenproblematik sei kein grundlegender gesellschaftlicher Konflikt. Später wurde daraus: der Hauptwiderspruch sei in der Klassengesellschaft zu suchen, die Frauenemanzipation sei ein Nebenwiderspruch.

Plötzlich wollten alle Opfer sein

Brenda Davis von der Rutgers University, New Jersey,
stellte dar, wie sich aus dem 68er Protest in den 70er und 80er Jahren eine Friedensbewegung gegen den Nato-Nachrüstungsbeschluss und eine parallele Frauenbewegung entwickelte. Ein heftiger Streit entspann sich - hauptsächlich zwischen der Organisation "Frauen für den Frieden" und Alice Schwarzers feministischer Frauenzeitschrift "Emma" - als Schwarzer forderte, Frauen müssten gleiche Rechte und Pflichten in der Bundeswehr haben. Schwarzer verwies auf die beruflichen Möglichkeiten für Frauen und die Notwendigkeit, sich an institutioneller Gewalt zu beteiligen, um nicht als die ewigen Opfer zu verharren. Die Friedensfrauen postulierten demgegenüber, dass Frieden wichtiger sei als Gleichheit. Interessant war auch, dass die Opferrolle allmählich den weiblichen Charakterzug verlor: Die männlichen Gegner der Nato Nachrüstung legten den größten Wert auf die Selbststilisierung als potentielle Opfer eines Atomkriegs.

Ein anderer Aspekt der wechselseitigen Beeinflussung der Frauen- und Friedensbewegung dieser Zeit war die öffentliche Diskussion von power-gender-relationships, von Gewaltproblemen in privaten Beziehungen. Von der Frauenbewegung wurde die Parole von der "Verweigerung des Alltagskriegs" erfunden. Dieser öffentliche Diskurs über eine modernere "zivilisierte" Beziehungskultur hat sich nachhaltiger als viele andere Strategien auf das Selbstbild heutiger Männer in Deutschland ausgewirkt.

Gender Diskurs - Perspektive zur Befriedung von Gewaltkulturen?

Frieden bleibt auch heute noch eine Aufgabe. In den Medien erregen Kriege oder zwischenstaatliche Gewaltkonflikte immer mehr Aufmerksamkeit als Bürgerkriege oder innerstaatliche Auseinandersetzungen. So gab es z.B. während des Irak-Kriegs 44 andere innerstaatliche Kriege, bei denen es 7 Millionen Tote gegeben hat. Beim Zusammenbruch staatlicher Strukturen geht das Gewaltmonopol meistens an selbsternannte "Warlords" über. Die Lebensrealität in solchen Situationen stellt sich für Frauen und Männer sehr unterschiedlich dar. Ein weiterer Problembereich sind Nachkriegregelungen, die häufig ohne die Sichtweisen von Frauen ausgehandelt werden. Männer, die Kriege planen, planen hinterher auch den Frieden. Diese Militärlogik muss durchbrochen werden. Wie zur Zeit im ehemaligen Jugoslawien müssen Probleme militarisierter männlicher Gewaltkulturen öffentlich diskutiert werden. Posttraumatische Erlebnisse in Nachkriegszeiten werden meistens in der Privatsphäre ausgetragen, gegen Frauen gerichtete Gewalt gerät zunehmend in Gefahr, nicht mehr wahrgenommen zu werden. Frauen spielen aber auch hier aktive Rollen, indem sie, z.B. durch Erziehung, männliche Gewaltmuster unterstützen.

In Hilfsorganisationen sind "Gender Issues" ebenso Thema, das Personal muss genderpolitisch geschult werden, um für spezifische Problemlagen von Frauen sensibilisiert zu werden. Männer wie auch Frauen in internationalen Organisationen haben in den ehemaligen Kriegsgebieten Vorbildfunktion und repräsentieren die Dominanzkultur. So können Männer durch unbedachtes Verhalten die Neuenstehung von Prostitution fördern, wie z.T. im ehemaligen Jugoslawien geschehen. Eingreiftruppen müssen ausdrücklich den Auftrag erhalten, Sexualverbrechen zu verhindern, falls sie selbst darin verwickelt sind, gehören auch Blauhelmsoldaten vor ein Kriegsverbrechertribunal.

Martina Fischer vom Berghof Forschungszentrum für Konstruktive Konfliktbewältigung, Berlin, befasst sich mit der Evaluierung von Maßnahmen der Friedensförderung. Sie erklärte auf der Fachtagung, dass es einen fundamentalen Unterschied macht, ob Frauen beteiligt werden oder nicht. Sie forderte ein "Gender Impact Assessment": Nachkriegsordnungen müssen sowohl unter örtlichen Gemeinschaften als auch auf zentraler Ebene ausgehandelt werden, es muss vermieden werden, dass an Menschenrechtsverletzungen Beteiligte in Entscheidungspositionen kommen. In allen Ebenen müssen Frauen beteiligt sein, Existenzgründungsprogramme müssen speziell auch für alleinerziehende Frauen ausgelegt werden. Vor allem die physische Sicherheit von Frauen muss gewährleistet werden. Vorteile, die Frauen im Krieg erhalten haben z.B. bessere berufliche Positionen, dürfen ihnen nach dem Krieg nicht wieder genommen werden. Ziel solcher peace-building Kampagnen ist die Geschlechterdemokratie, wobei in vielen religiös geprägten Ländern die kulturelle Legitimität von Frauenunterdrückung hinterfragt werden soll, gleichzeitig aber nach dem "do-no-harm" Ansatz keine neuen Konflikte durch Überforderung geschaffen werden dürfen.

Fazit: Im Bereich der historischen Untersuchung des Pazifismus ebenso wie bei der wissenschaftlichen Analyse und Begleitung aktueller Konfliktlagen erweist sich, dass die Bearbeitung vieler frauenspezifischer Themen immer noch aussteht Es gibt in internationalen Organisationen bereits Bedarf an qualifizierten Frauen, doch in Deutschland muss - im Vergleich zum internationalen Ausbildungs- und Forschungsstand - erst noch aufgeholt werden.

Also: Wichtige Zukunftsaufgaben für interessierte Frauen in der Konflikt- und Friedensforschung!


Public Affairs

Beitrag vom 16.05.2003

Gerlinde Behrendt